Ich hätte es wissen müssen: Sylt hat einen Haken! Und der beginnt auf einer schmalen Straße im Listland – an einer Maut-Station.
Neugierig stützt Kleinspitz Samy die Vorderpfoten an der Autoscheibe ab und blickt auf die Dünenlandschaft. Wir sind ganz oben im Norden.
An dieser Stelle geht das Eiland von West nach Ost in einen Landstreifen über, der wie ein Ellenbogen aussieht. Oder wie ein Haken. Dieser ragt als 330 bis 1200 Meter schmale und langgestreckte Halbinsel in die Nordsee.
Fünf Euro zahlen wir, um mit dem Auto weiter fahren zu dürfen. Das Listland befindet sich im Privatbesitz einer Erbengemeinschaft. Im 15. Jahrhundert hatten die Vorfahren der Familien Diedrichsen und Paulsen das Land vom dänischen König als Lehen erhalten. Bis heute gehört es den Nachfahren.
Von List aus hätte man sich auch einer Wandergruppe anschließen können, das wären allerdings 20 Kilometer bis hier her zum Ellenbogen gewesen. „Und 20 Kilometer zurück“, bemerkt Fotografin Christina entsetzt. „Da fahren wir doch lieber.“ Allerdings nicht lange. Schon bald taucht in der urwüchsigen Dünenlandschaft der Leuchtturm List-Ost auf. Die Leuchtfeuer sind das Wahrzeichen von Sylt und waren bereits mehrfach maritime Kulisse für Filmaufnahmen.
„Eine ganz schöne Schinderei!“
Am Leuchtturm werden wir schon von Laufhundesportler Toni Hammer und seiner schwarzen Mischlingshündin Amy empfangen. Toni kommt eigentlich aus Leipzig und ist als Koch nach Sylt gekommen. „Man muss hier zwar seine Finanzen im Blick behalten, aber dafür habe ich jeden Tag Strand“, erzählt er begeistert. Toni und unsere „Reiseführerin“ Stefanie Hausen, die uns ebenfalls am Leuchtturm empfängt, haben vor allem eines gemeinsam, sie lieben Hundesport und treffen sich regelmäßig zum Joggen mit Hund.
„Das Westufer am Ellenbogen eignet sich gut, um für den Turnierhundesport zu trainieren, weil es auch mal Steigungen gibt. Das ist gerade deshalb wichtig, weil wir für Wettkämpfe auf´s Festland fahren und dort natürlich ganz andere Landschaften vorfinden“, erklärt Stefanie. Agility kenne ich, aber Turnierhundesport? „Turnierhundesport (THS) ist sozusagen Leichtathletik mit Hund.“ Oh Gott, oh Gott. „Es gibt Einzel- oder Mannschaftswettkämpfe mit Hindernisläufen, Slalom, einem Geländelauf, einem Geräteparcours und einiges mehr.“ Schreck lass nach.
„Voraussetzung ist die Begleithundeprüfung, weil es neben der Schnelligkeit des Mensch-Hund-Teams vor allem auch darauf ankommt, dass sich der Hund leiten lässt.“ Bei soviel Action bekommt Hailey ganz glänzende Augen. Klar, die Australian Shepherd Hündin hätte da Spaß dran. Frauchen aber nicht. „Ich trainiere eigentlich auch nur Jamilo zuliebe“, gibt Stefanie zu, „es ist schon eine ganz schöne Schinderei. Aber wenn ich dann erlebe, wie glücklich und zufrieden der Hund ist, dann weiß ich wieder, wofür ich das mache.“ Toll, jetzt habe ich ein schlechtes Gewissen!
Respekt vor Stefanies Leistung, der Hundetrainerin ist es nämlich gerade erst gelungen, sich bei den Deutschen Meisterschaften dieser schweißtreibenden Sportart im Mannschaftslauf bis auf Platz 5 vor zu kämpfen. „Darauf bin ich echt stolz, denn man trifft bei Turnieren meistens auf ehemalige Leichtathletik-Profis, gegen die man nur schwer ankommt.“
Sagt´s und setzt sich mit Border-Huskey-Mix Jamilo in Bewegung, auch Toni schnallt seinen Jogginggurt um und läuft mit Amy um den Leuchtturm.
Götterdämmerung auf Sylt
Während Hailey den beiden sportlichen Mensch-Hund-Teams sehnsüchtig beim Joggen zuschaut, haben sich Christinas Schäferhündin Fee und Samy bequem hingelegt und genießen die Landschaft. Hinter dem Leuchtturm türmen sich mächtige Wolken auf, gerade so als würde im nächsten Moment die Götterdämmerung bevorstehen. Manche sagen ja, der Ellenbogen sei der schönste Teil Sylts.
Der Ellenbogen entstand übrigens erst nach der großen Sturmflut von 1362. Der fortgespülte Sand von der Westküste lagerte sich hier ab. Das gesamte Gebiet ist als Vogel- und Naturschutzgebiet ausgewiesen. Zwischen der Halbinsel Ellenbogen und dem Lister Hafen ist der Königshafen, eine Wattfläche, die zur „Schutzzone I“ des Nationalparks Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer gehört und nicht betreten werden darf.
Wie ein kitschiger Film
Entlang der Nordküste der Halbinsel erstreckt sich auf etwa drei Kilometer Länge ein naturbelassener Sandstrand, an denen Sturmfluten teilweise besonders heftig sind. Wegen den gefährlichen Meeresströmungen ist das Schwimmen lebensgefährlich. Lediglich von einem begrenzten Strandabschnitt auf der Südseite des Ostellenbogens ist Wind- und Kitesurfen erlaubt. Die Bedingen sind hier natürlich ideal, dennoch müssen sie sich sehr genau an ihr abgegrenztes Revier halten, um einige Dutzend Seelöwen nicht zu stören, die hier ihre Heimat haben.
Während Stefanie und Toni ihre Kondition steigern, setzen wir uns wieder ins Auto und steuern ein paar Kilometer weiter wieder einen Parkplatz an. Von dort aus laufen wir zur Ellenbogenspitze, von dessen Strand aus sogar die dänische Nachbarinsel Rømø zu sehen ist. Ein bisschen Dänemark-Feeling kommt auf, als sich das Smartphone kurzerhand ins dänische Netz einloggt. Das passiert immer mal wieder auf der Insel, allerdings ist die Ellenbogenspitze auch nur vier Kilometer von Rømø entfernt.
Als wäre das alles nur ein kitschiger Film, verflüchtigen sich langsam, aber sicher die Wolken und geben einen strahlend blauen Himmel frei. Nirgendwo ändert sich das Wetter schneller als an diesem magischen Ort.
Es gibt weißen Sand, Wind, Horizont und Wasser. Und alles wieder endlos. Das Wasser glitzert wie tausend Sterne, ein paar Meter weiter streckt eine Seerobbe den Kopf aus dem Wasser.
Plötzlich sind wir ganz allein, zwei Menschen und drei Hunde. Das eigentlich Sylt liegt in der Einsamkeit, nämlich hier, wo eine schmale Landzunge aus Dünen, Heide und Sandstrand ins Meer leckt. Ich bleibe hier. Diese eine Liebe wird nie zu Ende sein, das sagten ja schließlich schon die Ärzte Ende der Achtziger in „Westerland“. Als würde sie mir zustimmen, leckt Hailey mir durch´s Gesicht. Sogar Samy wird hier zum Philosophen, wie er so dasitzt und sich den Wind um die Nase wehen lässt. Keine Frage, das hier ist das Paradies.
© Manuela Lieflaender